Fibromyalgie

18 Triggerpunkte

18 Triggerpunkte

Die Diagnose FIBROMYALGIESYNDROM (FMS) sollte nie leichtfertig gestellt werden, zumal viele Missverständnisse damit verbunden sein können.

Es existieren Kriterien für die Diagnosestellung von der amerikanischen Gesellschaft für Rheumatologie (ACR). Die früher gewichtigen Tenderpoints (schmerzhafte Stellen am Körper) spielen heute keine große Rolle mehr. 2010 wurden die „ACR 2010“-Kriterien veröffentlicht.

Dabei werde die schmerzhaften Regionen mit dem Widespread pain index (WPI) sowie das Ausmaß der Beschwerden mit der Symptom severity scale (SS) erfasst.


Im Widespread pain index (WPI) wird bestimmt, in welcher der folgenden Körperregionen der Patient in den vergangenen Wochen Schmerzen hatte:
Schultergürtel links/rechts, Oberarm links/rechts, Unterarm links/rechts, Hüfte u. Gesäß links/rechts, Oberschenkel links/rechts, Unterschenkel u. Fuß links/rechts, Kiefer links/rechts, Brustkorb, Bauch, oberer Rücken, unterer Rücken, Nacken.
Für jede positive Schmerzlokalisation wird ein Punkt vergeben, also maximal 19.

Die Symptom severity scale erfasst die Bereiche Erschöpfung/Müdigkeit, wenig erholsamer Schlaf und kognitive Symptome, sowie zusätzlich das generelle Auftreten von körperlichen Symptomen. Je nach Ausprägungsgrad werden Punkte von 0 bis 3 vergeben, die maximale Anzahl ist 12.

Diagnosekriterien nach ACR 2010:

1. Widespread pain index (WPI) >= 7 und Symptom severity scale (SS) >= 5
ODER
WPI 3 - 6 und SS>0= 9.

2. Die Symptome müssen in ähnlicher Stärke mindestens 3 Monate bestehen.

3. Die Beschwerden werden nicht durch eine andere Erkrankung hervorgerufen.

Konsens besteht auch hinsichtlich folgender Symptome:
Kernsymptome des FMS sind neben chronischen Schmerzen in mehreren Körperregionen Schlafstörungen bzw. nicht-erholsamer Schlaf und Müdigkeit bzw. Erschöpfungsneigung (körperlich und/oder geistig).

Die Beschäftigung mit den Ursachen der Fibromyalgie ist für mich eines der interessantesten Themen der letzten Jahre gewesen, und ist es immer noch. Es gibt kaum etwas leidvolleres als grundlosen Schmerz zu erfahren. Wenn schon etwas weh tun dann soll es zu mindestens einen Grund dafür geben...aber grundloses Leid?

Die Hoffnung auf eine organische Ursache hat durch eine aktuelle Studie Auftrieb bekommen: Würzburger Forscher fanden bei 25 Fibromyalgiepatienten eine Störung der kleinen Nervenfasern, den Artikel finden Sie HIER. Weitere Forschungen mögen einen Teil der Erkrankung erklären ähnlich wie beim Magengeschwür: vor 20 Jahren wäre kaum ein Mensch auf die Idee gekommen dass es sich dabei um eine Infektion mit Helicobacter Pylorii handelt. Mir scheint die Patientengruppe der Fibromyalgiepatienten inhomogen zu sein: für einen Teil, ich denke den kleineren teil, kommt eine handfeste organische Ursache in Betracht. Für den weitaus größeren Teil der Patienten scheint ein fehlgeleiteter neuronaler Lernprozess der Schlüssel zum Verständnis der Erkrankung zu sein. Aber warum soll die Struktur eines neuronalen Netzwerkes nicht organisch (sondern psychisch) sein?

Chronische Schmerzen sind wie ein Ohrwurm:
Sie hören eine Melodie und werden sie nicht mehr los. Grade vergessen, hören sie diese erneut und schon hat sie sich richtig festgesetzt. Je mehr Sie sich darauf konzentrieren um so lauter wird der Ohrwurm. (Versuchen Sie jetzt nicht an einen rosa Elephanten zu denken!.....und, haben Sie es geschafft? :] ). Sie können sich in ein MRT legen, ein EEG anfertigen lassen und sonst weiß was für Untersuchungen über sich ergehen lassen. Keiner wird den Ohrwurm in Ihrem Kopf finden..aber er ist da, er ist real, Sie hören ihn. Er hat sich im neuronalen Netzwerk Ihres Hirns festgesetzt.
Nicht anders verhält es sich mit dem chronischen Schmerz. Ausgelöst durch einen akuten Schmerz kommt es zu Lernvorgängen: das Hirn mitsamt aller Zwischenstationen stellt sich auf den Schmerz, der ja anfangs noch eine Warnfunktion hat, ein und erhöht die Aufmerksamkeit dafür: irgendetwas ist nicht in Ordnung und der Körper könnte ja Schaden nehmen. Das Hirn legt förmlich das "Ohr auf die Schienen".
Soweit handelt es sich um Vorgänge die fast immer ablaufen. Aber bereits jetzt wird klar, dass auch ein akuter Schmerz behandelt werden sollte um diese Lernvorgänge, auch als Schmerzgedächtnis bezeichnet, zu verhindern. Damit daraus ein chronischer Schmerz wird bedarf es einer psychosozialen Disposition. oder einer Störung in den schmerzverarbeitenden Systemen. Die Ursachen können genetisch, hormonell, psychisch, sozial, neuropsychologisch oder umweltbedingt sein. Wenn man die neuen Erkenntnisse der Epigenetik hinzuzieht wird verständlich, wie sich 1-2 Generationen zuvor erlerntes Verhalten im Ablesen des genetischen Code niederschlägt. In einer Studie aus dem Jahre 2014 aus Atlanta konnten Forscher zeigen, wie Angst bei Mäusen über 2 Generationen vererbt wird (veröffentlicht in Nature und im Spiegel). Auch ich habe in meiner Kindheit träume von Kriegsereignissen erlebt die als Stellvertreterträume der Kriegsenkel erklärlich sind.

So können mögliche Störungen im Hirnstoffwechsel Folge eines erlernten, weitergegebenen oder genetisch vorgegebenen Faktors sein. Letztendlich wird spätestens hier klar dass die strenge Unterscheidung zwischen organisch und psychisch sowohl haltlos als auch wenig zielführend ist. Unser Denken, dass eine Schmerz immer eine klare Ursache wie eine Verletzung als Ursache haben muß, war im Mittelalter revolutionär, ist heute aber überholt.

Bewiesen ist, dass bei Patienten mit Fibromyalgie überdurchschnittlich häufig psychische Störungen wie Depressivität und Ängstlichkeit vorkommen. Ob diese Patienten zuerst depressiv waren und darum Schmerzen entwickeln oder umgekehrt ist interessant, aber in keinster Weise zielführend für die Behandlung. Es gehört immer beides behandelt.

Es ist davon auszugehen dass in Zukunft die Fibromyalgie in eine primäre und eine sekundäre, eher psychosomatische Form differenziert wird. Das gelingt heute schon anhand der Schmerzfragebögen und der Anamnese. Danach orientiert sich dann auch die Behandlung.

Die Schmerzstörung hat die Tendenz sich auszuweiten und andere Bereiche des Lebens zu beeinträchtigen: Schlaf, Wohlbefinden, Verdauung, Leistungsfähigkeit, soziale Kontakte, Stimmung.....

Wichtig für die Behandlung ist das Verständnis der Grundlagen der Erkrankung. Die Erkrankung ist nur wenig durch Medikamente heilbar, sondern durch ein Verlernen des Schmerzgedächtnis.

Im Gegensatz zur landläufigen Meinung halte ich die Prognose für gut.


Da die Entstehung der Fibromyalgie mehr durch einen fehlgeleiteneten Lernprozess als durch organische Erkrankungen erklärt wird, ist klar, dass gängige Therapiekonzepte nicht greifen. So finden sich hinter den meisten Therapieoptionen in den Leitlinien der Satz: KEINE Empfehlung. Ich habe die Ergebnisse des momentanen Stand des Wissens für Sie zusammengefasst:

Starke Therapieempfehlung:

- die Erkrankung erklären
- Multimodale Therapie = Kombination von Entspannungs- und /oder kognitiver Verhaltenstherapie mit Ausdauertraining
- Niedrig-bis mäßig dosiertes Ausdauertraining oder
- Funktionstraining (kann für 2 Jahre rezeptiert werden.) oder
- niedrigdosiertes Krafttraining kombiniert mit Dehnungsübungen oder
- Tai Chi oder Qi-Gong oder Yoga

mittlere Therapieempfehlung

Nur für wenige Medikamente ist eine positive Wirkung bewiesen:

1. Wahl: Amitriptylin 10-50 mg/d oder Duloxetin 60 mg/d
2. Wahl: off-label (individueller Behandlungsversuch)
Duloxetin, Pregabalin, oder Serotonin-Wiederaufnahmehemmer SSRI z.B. Fluoxetin

Die absteigende Schmerzhemmung (grüne Bahnen)

Ich habe gute Erfahrungen mit Amitriptylin gemacht und erkläre Ihnen das Medikament vorher genau. Sie werden sich bei Lesen der Verpackung sonst fragen warum Ihnen der Arzt ein Antidepressivum rezeptiert wo Sie doch unter Schmerzen leiden.
Die Erklärung liegt in der Schmerzverarbeitung des Hirnes, kurz gesagt senkt Amitriptylin die Schmerzschwelle über eine Verbesserung der Schmerzhemmung. Sie beeinflusst die Schmerzleitung weit mehr als bislang angenommen. Wobei die Auswirkungen schon lange bekannt waren, so z.B. die überlebenswichtige kurzfristige Schmerzfreiheit nach Verletzungen: Selbst mit gebrochenem Bein würden Sie Angehörige beispielsweise aus einem brennenden Auto retten, und hätten dabei kaum Schmerzen.
Es ist kein Zufall dass genau die gleichen Botenstoffe Noradrenalin und Serotonin sowohl für die Schmerzhemmung zuständig sind als auch bei einer Depression erniedrigt sind.
Die für die Verbesserung der Schmerzhemmung benötige Dosis liegt um das 5-10 fache unter der für die Behandlung einer Depression.

Amitriptylin

- seit 50 Jahren im Handel
- Antidepressivum
- unselektiver Hemmstoff der Monoamin-Rückaufnahme aus dem synaptischen Spalt, dadurch Erhöhung der Konzentration von Neurotransmittern (Serotonin und Noradrenalin)
- 4-10mg, selten 25 mg/Tag reichen aus für die Wirkung auf die Schmerzschwelle
- Dosis bei Depressionen: ab 50mg/Tag
- Medikament der ersten Wahl bei der Prophylaxe des Spannungskopfschmerz und 1.-2. Wahl bei der Migräne
- NICHT anwenden nach Herzinfarkt, bestimmten EKG Veränderungen, Glaukom
- mögliche Nebenwirkungen: Müdigkeit, Harnverhalt, Mundtrockenheit, Gewichtszunahme. In der von mir rezeptierten Dosierung von 4-10mg/Tag sind diese Nebenwirkungen selten. Die Müdigkeit ist eine für den Abend geschätzte Wirkung. Darum wird das Medikament abends eingenommen.

mehr zum Thema bei Wikipedia

keine Empfehlung

Medikamente:
Anxiolytika (Valium), Cannabinoide,
Flupirtin, Ketamin, Kortikosteroide, Lokalanästhetika, Milnacipran, Muskelrelaxantien, Natriumoxybat, Neurolpetika, Nichtsteroidale Antirheumatika (Ibuprofen, Diclofenac), starke Opioide, Serotoninrezeptor (5HT3) Antagonisten

Nicht-medikamentöse Verfahren:
Chirotherapie, hyperbare Sauerstofftherapie, Lasertherapie, Magnetfeldtherapie, Massage, Nahrungsmittelergänzungsprodukte, TENS

Auszug aus den aktuellen Leitlinien:

Komplementäre Verfahren

Therapieverfahren

Empfehlungsgrad 2008

Empfehlungsgrad 2012

Achtsamkeitsbasierte Stressreduktion als Monotherapie

Keine Aussage

Stark negative Empfehlung

Akupunktur

Stark negative

Empfehlung

Offene Empfehlung

Atemtherapie

Offene Empfehlung

Keine Aussage

Eliminationsdiät

Offene Empfehlung

Keine positive oder negative

Empfehlung möglich

Ergotherapie

Offene Empfehlung

Keine Aussage

Fußzonenreflextherapie

Offene Empfehlung

Keine Aussage

Homöopathie

Offene Empfehlung

Negative Empfehlung

Meditative Bewegungstherapien

Offene Empfehlung

Starke Empfehlung

Reiki

Keine Aussage

Negative Empfehlung

Vegetarische Kost /Heilfasten

Offene Empfehlung

Keine positive oder negative

Empfehlung möglich

Medikamente

Therapieverfahren

Empfehlungsgrad 2008

Empfehlungsgrad 2012

Amitriptylin

Starke Empfehlung

Empfehlung

Anxiolytika

Negative Empfehlung

Stark negative Empfehlung

Cannabinoide

Nicht berücksichtigt

Negative Empfehlung

Dopaminagonisten

Offene Empfehlung

Stark negative Empfehlung

Duloxetin

Empfehlung

Empfehlung bei komorbider depressiver oder generalisierter Angststörung

Flupirtin

Keine Aussage

Negative Empfehlung

Hormone (Calcitonin, Testosterone, Östrogene, Glukosteroide, Schilddrüsenhormone, Wachstumshormon)

Negative Empfehlung

Stark negative Empfehlung

Hypnotika

Negative Empfehlung

Stark negative Empfehlung

Ketamin

Negative Empfehlung

Stark negative Empfehlung

Lokalanästhetika

Negative Empfehlung

Stark negative Empfehlung

Milnacipran

Keine Aussage

Stark negative Empfehlung

Monoaminooxidasehemmer

Offene negative Empfehlung

Negative Empfehlung

Natriumoxybat

Negative Empfehlung

Stark negative Empfehlung

Neuroleptika

Negative Empfehlung

Stark negative Empfehlung

Nicht-steroidale Antirheumatika

Negative Empfehlung

Stark negative Empfehlung

Metamizol

Negative Empfehlung

Keine positive oder negative Empfehlung möglich

Muskelrelaxantien

Offene negative Empfehlung

Negative Empfehlung

Opioide schwach (Tramadol)

Offene Empfehlung

Keine positive oder negative Empfehlung möglich

Opioide stark

Offene negative Empfehlung

Stark negative Empfehlung

Paracetamol

Negative Empfehlung

Keine positive oder negative Empfehlung möglich

Pregabalin

Offene Empfehlung

Offene Empfehlung (offlabel-use)

Serotoninwiederaufnahmehemmer (Fluoxetin, Paroxetin)

Empfehlung

Offene Empfehlung bei komorbider depressiver Störung

Serotoninrezeptoragonisten (Topisetron)

Offene Empfehlung

Stark negative Empfehlung

Virostatika

Negative Empfehlung

Stark negative Empfehlung

Physikalische Verfahren und Physiotherapie

Therapieverfahren

Empfehlungsgrad 2008

Empfehlungsgrad 2012

Chirotherapie

Offen

Negative Empfehlung

Funktionstraining

Offen

Starke Empfehlung

Krafttraining

Nicht berücksichtigt

Starke Empfehlung

Ganzkörperwärme mit wassergefilterter milder Infrarot-A-Strahlung

Empfehlung

Keine positive oder negative Empfehlung möglich

Ganzkörperkälte

Offen

Negative Empfehlung

Krankengymnastik

Offen

Keine positive oder negative Empfehlung möglich

Laser

Offen

Negative Empfehlung

Lymphdrainage

Offen

Keine positive oder negative Empfehlung möglich

Magnetfeld

Offen

Negative Empfehlung

Massage

Negativ

Stark negativ

Osteopathie

Offen

Keine positive oder negative Empfehlung möglich

Physiotherapie

Offen

Keine positive oder negative Empfehlung möglich

Transkranielle Magnetstimulation

Offen

Negative Empfehlung

Ultraschall/Reizstrom

Offen

Keine positive oder negative Empfehlung möglich

Psychotherapie und Patientenkommunikation

Therapieverfahren

Empfehlungsgrad 2008

Empfehlungsgrad 2012

Biofeedback

Offen

Offene Empfehlung

Kognitive Verhaltenstherapien

Offen

Offene Empfehlung

Patientenschulung als Monotherapie

Nicht berücksichtigt

Offene Empfehlung

Therapeutisches Schreiben

Empfehlung

Negative Empfehlung

Farbcodes:
Geänderte Datenlage (neue RCTs ab 2007)

Neue Kriterien für Auf- und Abstufung des Empfehlungsgrades von Therapien

Sowohl neue Datenlage als auch neue Kriterien für Auf- und Abstufung des

Empfehlungsgrades von Therapien